Donnerstag, 28. Februar 2019
Welches Ich hätten wir denn gern?
Wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich - mich. Also ich sehe ein Abbild meines Ich's. Ein vertikal spiegelverkehrtes auch noch. Wenn ich z.B. mit der linken Hand die Narbe an meiner linken Augenbraue berühre, vollführt mein gespiegelter Gegenüber die gleiche Bewegung mit der rechten Hand an die rechte Augenbraue. Jedenfalls sieht es für mich so aus.
Wenn sich zwei Rechtshänder per Handschlag begrüßen wollen, kreuzen sich die rechten Arme vor dem Körper, damit sich die Handflächen berühren können. Versuchen sie das mal mit ihrem Spiegelbild!

Trotz dieser Einschränkung; ohne Spiegel wüssten wir gar nicht, wie wir aussehen. Wie ein Mensch, der blind geboren wird. Der also keine realistische Vorstellung davon haben kann, wie er aussieht.
Obwohl sehende Menschen ja wenigstens ihren Körper betrachten können. Jedenfalls so weit es ihr Blickfeld und die Beweglichkeit des Halses zulassen.
Aber ausgerechnet das auf Ausweisdokumenten entscheidende Identifikationsmerkmal, das Gesicht, bliebe uns verborgen.
Würden wir uns auf einem Porträtfoto wiedererkennen?
Das da soll ich sein?
Kann ich mal bitte ein Ganzkörperbild haben?
Ah ja, der Schwabbelbauch und die X-Beine kommen mir bekannt vor!

Selbst wenn wir unser Spiegelbild in- und auswendig kennen, sind wir doch oft überrascht, wenn wir Fotos von uns sehen; uns quasi mit den Augen eines Fremden betrachten. Das soll der Selbe sein, den ich jeden Morgen im Spiegel sehe?

Wenn sich das komplette Umfeld von Michail Gorbatschow (aus welchen Gründen auch immer) dazu entschlossen hätte, ihm nichts von seinem riesigen Muttermal auf dem Kopf zu sagen, hätte er davon keine Ahnung. Vorausgesetzt, er hätte noch nie sein Spiegelbild oder Fotos von sich gesehen. Es kann also kein Teil seines Ich's sein, sonst wüsste er ja davon.
Aber alle anderen können es sehen. Für sie ist das Muttermal auf jeden Fall Teil seines Ich's. Ein sehr charakteristischer Teil sogar. Der ihn einzigartig macht.
Selbst eineiige Zwillinge haben kleine Unterschiede, die sie einzigartig machen.
Nur Klone nicht!

Wir Menschen legen großen Wert darauf, als einzigartige Individuen wahrgenommen zu werden.
Doch woraus speist sich diese Vorstellung vom einzigartigen Ich?
Nur das rein Äußerliche kann es nicht sein.
Schönheitschirurgen, die Schlauchbootlippen, Wespentaillen und Monsterbusen basteln, erschaffen keine neuen Menschen. Sie "verkörpern" lediglich die durch Geltungssucht und verkümmertes Selbstwertgefühl entstandenen Aufwertungsfantasien der bedauernswerten Kreaturen.
Ist also Selbstwertgefühl mein wahres Ich?
Oder nur in Verbindung mit meiner Hülle?
Kann und darf man Körper und Geist überhaupt getrennt betrachten?

Der menschliche Körper besteht aus Zellen. Diese erneuern sich. Immer und immer wieder. Nach einer gewissen Zeit hat sich dieser Körper also komplett erneuert. Er besteht nicht mehr aus den selben Zellen wie zur Geburt.
Trotzdem bleibt man der selbe Mensch.
Der Geist oder die Seele werden gemeinhin im Gehirn vermutet. Dort sitzt schließlich die Schaltzentrale. Auch wenn Romantiker den Sitz der Seele lieber ins Herz verlagern würden. Im Gehirn laufen die entscheidenden Prozesse ab, die unser Wesen bestimmen. Wenn, wie während der Pubertät, das Gehirn neu verschaltet wird, kann es zu beachtlichen Wesensänderungen des betroffenen Teenagers kommen. Glücklicherweise meist nur kurzfristig. Bei Unfall- oder Gewaltopfern, sowie bei neuronalen Erkrankungen kann es zu Schädigungen einzelner Hirnareale kommen, die massive Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit haben. Manchmal dauerhaft.
Trotzdem bleibt man der selbe Mensch.
Jedenfalls laut Ausweis.

Neuronale Schäden können so gravierende Veränderungen hervorrufen, dass man glaubt, eine andere Person vor sich zu haben. Zu den sichtbaren Veränderungen wie eingeschränkter Motorik und Sprachfähigkeit, dem Verlust speziellen Wissens oder dem Vorhandensein neuer Fähigkeiten (z.B. Fremdsprachen) kann es passieren, dass die Betroffenen sich selbst nicht mehr erkennen. Weder von außen noch von innen.
Wie viele Menschen glauben, im falschen Köper gefangen zu sein?

Wenn das Individuum und die Umwelt übereinstimmend der Meinung sind, nicht mehr der Selbe zu sein - ist man dann noch der Selbe?
Wie wichtig ist ein unveränderliches Ich wirklich?
Es gibt die von Vielen geteilte Meinung: "Menschen können sich ändern". Damit ist aber eigentlich eine Veränderung aus eigenem Antrieb gemeint.
Gibt es graduelle Abstufungen, wie weit man sich ändern darf, ohne das eigentliche Ich zu verleugnen?

Die Geheimnisse und Funktionsweisen des menschlichen Körpers wurden und werden weiterhin so gut entschlüsselt, dass praktisch so gut wie alles repariert und ersetzt werden kann - Knochen, Haut, Organe, ganze Gliedmaßen. Mit der Entschlüsselung unserer DNA wurde das Tor zum nächsten Level aufgestoßen - Optimierung. Leistungsfähiger, schöner, gesünder und frei von Erbkrankheiten - danke Evolution (oder Gott), wir übernehmen jetzt! Nächstes Ziel - Unsterblichkeit!
Mit einem unveränderlichen Ich kaum zu machen!

Auch die Neurobiologen schicken sich an, massiv in die Natur des Menschen einzugreifen. Je mehr Einblicke sie gewinnen, welche Gehirnareale für welche Prozesse zuständig sind, welche Transmitter und Botenstoffe welche Reaktionen auslösen, wo Gefühle, Empfindungen und Erinnerungen produziert und gespeichert werden und wie dieses einzigartige Zusammenspiel unser individuelles Ich ausmacht, umso größer die Versuchung, manipulierend einzugreifen.

Niemand hat etwas dagegen, wenn Taube wieder hören, Blinde wieder sehen und Unfallopfer ihre Prothesen mittels mentaler Befehle steuern können. Nicht viele würden sich wehren, wenn Anlagen zu Erbkrankheiten schon vor der Geburt beseitigt werden könnten.
Doch dann wird's schon knifflig; Down-Syndrom, Autismus, Missbildungen - alles beseitigen?
Und wie wär's mit verbesserter Fettverbrennung, erhöhter Gedächtnisleistung und blauen Augen? Könnte man da vielleicht was machen?
Es muss ja nicht gleich eine Mischung aus Einstein und Schwarzenegger werden, aber ein paar kleine Optimierungen könnten schon helfen, mein eigenes Ich aufzuwerten.
Und wenn wir schon dabei sind; könnte bitte jemand endlich dafür sorgen, dass diese vernunftfähigen Affen aufhören, sich solch unnütze Fragen zu stellen wie: "Wer bin ich?", "Was soll ich hier?", "Hat mein Leben einen Sinn?".
Die sollen konsumieren, erst in die Glotze und dann in die Röhre schauen und uns Zugriff auf ihre Daten (und Gehirne!) geben, damit wir sie noch effektiver verarschen können!

Von wegen eigenes Ich!

P.S. Wem das alles zu grob skizziert ist, dem empfehle ich Richard David Precht "Die Kunst kein Egoist zu sein" und "Wer bin ich und wenn ja, wie viele?", sowie Yuval Noah Harari "Homo Deus" und "21 Lektionen für das 21.Jahrhundert".

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Dienstag, 30. Oktober 2018
Doch nur Tiere
Teil 2

Die Situation ist ihnen vielleicht bekannt. Auf die Frage, wer das gefährlichste Raubtier der Welt sei, hält man ihnen einen Spiegel vor's Gesicht. Das ist es!
Aber wieso eigentlich?
Zu Lande und im Wasser würden wir uns natürlicherweise im oberen Bereich der Nahrungspyramide tummeln. Es gäbe aber immer noch Spezies, für die wir nur Häppchen wären. Fressen und gefressen werden! Da unsere Vorfahren aber lieber Jäger als Gejagte waren, entwickelten sie Methoden und Hilfsmittel (Waffen), die sie letztendlich an die Spitze der jeweiligen Nahrungsketten katapultierten. Meistens mit so viel Weitblick, dass einzelne Populationen nicht zu arg dezimiert wurden. Dann fanden sie auch noch heraus, dass man sich seine Nahrung auch selber züchten kann. Später verschafften wir uns Zugang zu Regionen, für die wir eigentlich nicht geschaffen waren - unter Wasser und in der Luft. Auch dort waren wir bald Numero uno.
Nur das Gekabbel mit den Viren ist noch nicht entschieden.

Dass die vermeintliche Spitzenposition unserer Spezies massive Auswirkungen auf unser Selbstverständnis haben musste, ist nachvollziehbar.
Wenn man dir täglich eintrichtert, dass du der Beste bist, glaubst du es irgendwann. (Besonders anschaulich bei heutigen Profi-Fußballern!)

Da der Erkenntnishorizont unserer Vorfahren noch arg begrenzt war, erschufen sie einen ganzen Kosmos mythologischer Fantasien, um die unerklärlichen Phänomene ihrer Umwelt einigermaßen auf die Reihe zu kriegen.
Während in grauer Vorzeit der Mensch immer als Teil des großen Kreislaufes gesehen wurde, traten bald monotheistische Religionen auf den Plan, die ihren Alleinvertretungsanspruch aggressiv durchsetzten und den Menschen in eine zwielichtige Position bugsierten.
Einerseits Krone der Schöpfung, der sich die Welt untertan machen sollte.
Andererseits eine unwürdige und lebenslang mit Schuld beladene Kreatur, die für ihren jenseitigen Einzug in's Paradies zu diesseitigen Entbehrungen verdammt war.

So alt die Geschichte der Menschheit auch ist, folgte sie doch immer dem Gesetz der Natur. NUR DER STÄRKSTE ÜBERLEBT! Oder der Anpassungsfähigste, wie Darwin später präzisierte.
Es ging immer darum, gegen Rivalen und Naturgewalten zu bestehen und gleichzeitig für elementare Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken und Behausung, sowie für Gebietsansprüche und religiöse Überzeugungen zu kämpfen.

Ich kann nicht genau sagen, wann der Punkt war, an dem Menschen diesem natürlichen Ausleseprozess punktuell zuwider handelten. Wie um ihr tierisches Erbe abzustreifen, sollten zukünftig auch die schwächsten (menschlichen) Wesen ihre Daseinsberechtigung haben. Schutz von Bedürftigen, soziale Versorgungssysteme, allgemeine Menschenrechte! Eine Neuordnung der Welt, die immer wieder von verheerenden Kriegen begleitet war, weil sich das Tier im Menschen nicht so leicht bezwingen ließ.

1945 schien zumindest in Europa der Punkt erreicht, an dem ein harter Schnitt mit der eigenen mörderischen Vergangenheit erfolgen musste - NIE WIEDER KRIEG!
Man war des Tötens überdrüssig und wollte fortan alle Energie in die Gestaltung einer lebenswerten Zukunft stecken. Visionen eines verständnisvollen Umgangs mit Mensch, Tier und Natur waren gefragt.
Allgemeiner Wohlstand sollte uns von Neid und Missgunst befreien.
Technische Innovationen und steigende Produktivität sollten uns diesen Wohlstand bringen. Also hauten wir rein!

Anfangs konkurrierten zwei unterschiedliche Systeme um den besten Weg zum Ziel. Ein System verabschiedete sich ziemlich schnell wieder. Die Unterschiede zwischen ideologischem Überbau und ökonomischer Realität wurden zu groß. Außerdem schien das tief verwurzelte "Prinzip Eigennutz" nicht zu einer Gesellschaftsordnung zu passen, die das Kollektiv über das Individuum stellte.
Obwohl die Kombination kapitalistische Marktwirtschaft und Demokratie definitionsbedingt nicht funktionieren dürfte, schien sie doch als einzige Alternative übrig zu bleiben.
Die Urinstinkte zurück drängend, wurde in Stein gemeißelt, welche Regeln die Quadratur des Kreises ermöglichen sollten. Wenn man nicht zu weit über den Tellerrand spähte, schien es sogar zu funktionieren.
Bis ein neuer Spieler das Feld betrat - China.
Anfangs belächelt, später als billiger Produktionsstandort benutzt, vergaß man hinter die Kulissen zu schauen.
Das neue Gesellschaftsmodell vereinte die entscheidenden Merkmale beider Systeme - staatlich gelenkter Raubtierkapitalismus!

Während sich nach dem Zusammenbruch des Sowjetsystems einzelne Kriminelle zu Oligarchen aufschwangen und der Rest wieder in feudale Strukturen zurück fiel, scheint in China von Anfang an ein klarer Plan zu herrschen, der wohl erst mit der Weltherrschaft endet. Unter Missachtung sämtlicher Menschen-, Umwelt- und Patentrechte entwickelte sich das Reich der Mitte innerhalb kürzester Zeit zu einem bedeutenden global player.

Hat das wirklich niemand kommen sehen?
Haben unsere Eliten versagt?
Waren die westlichen Wirtschaftsweisen und Politiker zu naiv und benebelt von ihren Statistiktabellen und Effizienzdiagrammen, dass sie völlig ahnungs- und verantwortungslos westliches know how nach China transferierten, nur um ihre Computer und Solarmodule noch billiger produzieren zu können?

Und nun?
In ihrem verzweifelten Versuch, verlorenes Terrain zurück zu erobern, streifen die global vernetzten Konzernlenker die soziale Maske ab.
Mühsam erkämpfte Arbeitnehmerrechte werden zurück gedrängt, Umweltstandards ausgehebelt und Mitbewerber gnadenlos bekämpft oder aufgekauft. BIGGER IS BETTER! Immer mit der Begründung, sonst nicht konkurrenzfähig zu sein. Was die Chinesen machen, können wir schon lange!

Mit etlicher Verspätung scheinen sich die von Marx und Engels erkannten Systemschwächen des Kapitalismus nun offen zu zeigen.
Endlose Produktivitätssteigerungen bei endlichen Ressourcen können nicht funktionieren! Die unsichtbare Hand des Marktes wird wirkungslos, wenn sich eine Seite zu offensichtlich die Taschen voll stopft und die andere Seite nicht genug Kapital besitzt, um die ganzen schönen neuen Produkte zu kaufen.
Und wir reden hier vom westlichen Wirtschaftsraum.
In anderen Teilen der Welt sieht alles noch viel dramatischer aus!
Dort ist man wieder (oder immer noch) mit archaischen Überlebenskämpfen beschäftigt, die gigantische Flüchtlingsströme produzieren.

Und plötzlich ist er wieder da! (Vielleicht war er ja nie weg?!)
Der tierische Reflex, alles weg zu beißen, was als Bedrohung der eigenen Gruppe gewertet wird. Der Drang, die eigenen Bedürfnisse über die der anderen zu stellen. Wenn es sein muss mit Gewalt!

Aufgeheizt durch einen gar nicht so neuen Typus Politiker, der soziale Errungenschaften und Humanität mit Schwäche verwechselt, der demokratische Mitbestimmung für Zeitverschwendung hält und "survival of the fittest" mit seiner Nationalflagge dekoriert, scheinen heute alle Dämme eines verträglichen Miteinanders zu brechen. Das Gesetz der Straße ist wieder bewaffnet, die Ellenbogen werden mit giftigen Widerhaken besetzt, bevor sie ausgefahren werden und der degenerierte Konsument beschränkt sein Vokabular auf "WEG! RAUS!"

Ist das Experiment Menschheit schon gescheitert? Oder kriegen wir noch mal die Kurve?
Müssen wir erst den Planeten und dann uns selber retten oder anders rum?

Vielleicht sollten wir uns an den Brüdern der Schimpansen orientieren, die eine völlig andere Art der Konfliktbewältigung beherrschen
Die deutsche Rockband OOMPH! hat sich 2012 dieser Thematik angenommen. Ihr Titel *Bonobo* vom Album *Des Wahnsinns fette Beute* könnte uns vielleicht die Augen öffnen!

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Montag, 29. Oktober 2018
Doch nur Tiere
Teil 1

Vor geraumer Zeit sah ich auf Arte eine Doku über Schimpansen.
Eine ungewöhnlich große Gruppe irgendwo tief im Dschungel. Die Aufnahmen waren nicht mehr ganz frisch, aber das änderte nichts an ihren beeindruckenden Beobachtungen. Die beteiligten und zu Wort kommenden Forscher hatten die Gruppe jahrelang begleitet, jedem einzelnen Tier einen Namen gegeben und versucht, die gruppendynamischen Prozesse zu verstehen. Übereinstimmend mussten sie eingestehen, wie überrascht, ja geradezu schockiert sie waren, wie menschenähnlich sich diese Primaten verhielten. Und das nicht nur in positiver Hinsicht.
Ich war etwas verwirrt. Was hatten diese Forscher erwartet?
Da Schimpansen und Bonobos genetisch enger mit dem Menschen verwandt sind als mit Gorillas, war doch wohl abzusehen, dass sie auch etliche weniger schmeichelhafte Verhaltensweisen mit uns teilen würden.
Je länger die Sendung dauerte, umso klarer wurde mir bewusst, wie ähnlich wir diesen Tieren waren. Immer noch!

Mobbing, Vergewaltigung, Lynchjustiz, Kannibalismus und Krieg sind keine Erfindungen des Menschen!
Die eindrucksvollen Aufnahmen zerstörten ein gutes Stück mein positives Bild unserer nächsten Verwandten und führten unweigerlich zu der Frage:"Haben wir diese Stufe jemals überschritten?"
Was haben wir mit ihnen noch gemeinsam?
Was trennt uns eigentlich von ihnen? Der Gebrauch von Werkzeug, die Sprache, das Ich-Bewusstsein?

In den letzten Jahren ist dazu eine erstaunliche Entwicklung zu beobachten.
Einerseits wird mit wissenschaftlichen Methoden versucht, unsere angebliche Sonderstellung im Tierreich zu ergründen.
Und siehe da - mit jedem vermeintlichen Alleinstellungsmerkmal erweitert sich der Kreis der Spezies, die man dazu zählen muss. Große Menschenaffen, Elefanten, Delphine, Oktopoden und Raben dürfen sich schon seit geraumer Zeit auf dem intellektuellen Sofa neben uns breit machen. Sie stehen ja auch nicht (wenigstens in der westlichen Hemisphäre) auf unserem Speisezettel. Dass Nutztiere wie Kühe und Schweine es empathisch mit Kleinkindern aufnehmen können, macht uns unsicher und zwingt uns, unsere Einstellung ihnen gegenüber zu überdenken. Unschätzbare Dienste bei diesem Erkenntnisprozess liefern uns z.B. die deutschen Philosophen Michael Schmidt-Salomon und Richard David Precht. Wie wir mit Schwarmintelligenzen von z. B. Bienen und Ameisen umgehen sollen, steht noch auf einem ganz anderen Blatt.

Hier findet gerade ein radikales Umdenken statt, dass unser verinnerlichtes Selbstverständnis unserer Stellung im Tierreich in den Grundfesten erschüttert.

Andererseits wächst der Kreis derer, die die jetzige Zusammensetzung der Welt auf göttliche Schöpfung und (oder) intelligent design zurück führen. So war es geplant und so bleibt es, basta! In diversen religiotischen Märchenbüchern steht nichts als die absolute Wahrheit! Es ist kaum zu glauben. Je tiefer wir in die Geheimnisse des Universums eintauchen, umso entschiedener wird die Wahrung heiligen (und damit widerspruchsfreien) Wissens verteidigt. Je umfangreicher und einfacher der Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen wird (zumindest für die mit Internet!), umso weniger wird er als Orientierungshilfe bei der Bewältigung persönlicher, regionaler und globaler Probleme akzeptiert.

Woran liegt das?
Was ist passiert, dass wir plötzlich an einem Punkt stehen, an dem alles kritisch hinterfragt wird?
Sind die Menschen mit den jetzigen Verhältnissen so überfordert, dass sie Rat in der rückständigen Vergangenheit suchen oder ihr Heil in einer von Maschinen beherrschten Zukunft sehen?

Wir sind uns unserer Stellung im weltlichen Gefüge plötzlich nicht mehr sicher.
Na ja, plötzlich ist relativ! Als wir uns überzeugen ließen, dass sich unser Planet nicht mal annähernd im Zentrum des Universums befindet, war das schon schwer zu verkraften. Ich glaube, einige wollen es bis heute nicht wahr haben! Aber das wir als "Krone der Schöpfung" (respektive "Krone der Evolution") und "Beherrscher der Welt" generell zur Disposition stehen, sorgt bei etlichen Erdlingen für Schnappatmung.

Wie soll es weiter gehen? Akzeptieren wir, dass wir als Laune der Natur (Evolution) vorübergehend die beherrschende Spezies dieses Planeten sind und folgerichtig auch irgendwann wieder abtreten müssen? Bejahen wir den ersten Teil und stemmen uns aktiv gegen den zweiten?
Sind wir überhaupt die beherrschende Spezies? Oder sollten wir (wenigstens in Gedanken) Bakterien und Viren diese Vormachtstellung zugestehen?

Womit wir wieder bei der Ausgangsfrage wären.
Was erhebt uns eigentlich über die anderen Tiere? Ist es diese spezielle Fähigkeit, sein eigenes Ich in Interaktion mit der Umwelt zu hinterfragen?
Dieses zutiefst philosophische WER BIN ICH?
Gibt es Tierarten, die sich mit ähnlichen Gedanken quälen?
Soll das der Höhepunkt einer evolutionären Entwicklung sein, wenn man ständig an sich selbst (ver)zweifelt?
Kann und soll Evolution überhaupt einen Sinn haben?

Ich bezweifle, dass sich Schimpansen auf solchen intellektuellen Ebenen bewegen. (Wenigstens hoffe ich das! "Planet der Affen" lässt grüßen!) Dass sie nichtsdestotrotz komplexe Konfliktbewältigungsstrategien beherrschen, steht mittlerweile außer Frage.
Besonders beeindruckend fand ich die Aufnahmen einer Gruppe Männchen, die zu einer Patrouille ihrer Reviergrenzen aufbrachen. Die selben Protagonisten mit etwas weniger Behaarung und mit Lendenschurz - fertig wäre das perfekte Abbild unserer humanoiden Vorfahren. Die Art und Weise, wie sie sich lautlos im Gänsemarsch durch den Wald bewegten, wie sie nonverbal kommunizierten, wie sie strategisch Position bezogen, um dann in einer konzentrierten Aktion gegen die Späher des rivalisierenden Nachbarclans vorzurücken, kam einem sehr vertraut vor. Das anschließende Gemetzel auch.

War das jetzt tierisches oder menschliches Verhalten?
Wo ist die Grenze?
Wieviel Tier steckt noch in uns?
Und wie wollen wir damit umgehen?

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Montag, 24. September 2018
Genialer Schachzug
Mann kann Horst Seehofer absprechen was mann will, Schlitzohrigkeit gehört nicht dazu. Mit welcher Dreistigkeit er die Affäre Maaßen zu seinem Vorteil gedrechselt hat, ist ein Lehrstück politischer Kaltschnäuzigkeit.
Dass der Innenminister Bauchschmerzen mit der aktuellen Migrationspolitik hat und sich deswegen immer wieder auf direktem Konfrontationskurs mit der Kanzlerin befindet, ist bekannt.
Dass der Noch-Verfassungsschutzchef offensichtliche Defizite in der neutralen Ausübung seines Amtes hatte, dass er Sachverhalte ohne Angabe von Beweisen auch gerne mal anders bewertete und sich damit ebenfalls gegen die Kanzlerin wendete, ließ ihn letztlich untragbar werden. Sein seltsamer Kuschelkurs mit der AfD verstärkte die öffentliche Überzeugung, dass seine Zeit als Chef des Verfassungsschutzes abgelaufen war.
Damit brachte er seinen obersten Dienstherren in die missliche Lage, einen (O-Ton Seehofer) "hoch kompetenten und integeren Mitarbeiter" absetzen zu müssen. Hr Seehofer wollte aber partout nicht auf Maaßen verzichten und "degradierte" ihn zum Staatssekretär in seinem Ministerium. Dass dieser Posten schon besetzt war (von einem SPD-Mann), dass Hr. Maaßen über erweiterte Sicherheitskompetenzen verfügen sollte (aber nicht in Verfassungsfragen!) und last but not least die Besoldungsleiter um 2 Stufen nach oben fallen würde, hätte dank der unverständlichen Zustimmung der SPD-Chefin Nahles beinahe funktioniert. Die hat dann aus den eigenen Reihen so viel Feuer bekommen, dass sie eine Nachverhandlung bei den Koalitionspartnern erbettelte.
Und siehe da - Onkel Horst kann auch großzügig! Rolle rückwärts und trotzdem vorwärts kommen: Absetzung ja, Innenministerium ja, Staatssekretär nein. Dafür "Sonderbeauftragter für europäische und internationale Angelegenheiten". Im Range eines Abteilungsleiters, nichts mit Verfassungsschutz und ohne höhere Bezüge. Als wäre es das Normalste der Welt, nach einer Zwangsversetzung mehr Geld zu bekommen.

Also alles richtig gemacht Herr Seehofer?
Entschlussfreudigkeit und Kompromissbereitschaft bewiesen (beides wichtig für den anstehenden Wahlkampf in Bayern!),den roten Stänkerern von der SPD mal schön übers Maul gefahren und Mutti den Stinkefinger gezeigt!
Als Sahnehäubchen soll sich Maaßen ja zukünftig um die Aushandlung von Abkommen zur Rückführung von Flüchtlingen und dementsprechende Vereinbarungen mit afrikanischen Staaten kümmern. Also um die Dinge, die nach Meinung Seehofers sowieso nervig und überflüssig sind, weil die "Mutter aller Probleme" nur durch eine einzige Maßnahme geregelt werden kann - Grenzen dicht!

Mann darf gespannt sein, zu welch genialen Unverschämtheiten sich Seehofers Eleven Dobrindt, Söder uns Scheuer animiert fühlen.

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Donnerstag, 16. August 2018
Hat Links fertig?
Multi-Kulti hat versagt.
Das Abendland steht kurz vor der Islamesierung.
Der Klimawandel ist eine Erfindung der Ökoterroristen.
Sagen die Einen.

Integration und Willkommenskultur sind die Eckpfeiler der offenen Gesellschaft.
Der Islam gehört zu Deutschland.
Niemand kann bestreiten, dass der Mensch Auslöser eines tiefgreifenden Klimawandels ist.
Sagen die Anderen.

Kommt zu mir.
Sagt die Eine.

Wir können nicht alle aufnehmen.
Sagt die Andere.

Während sich die Eine auf christliche Werte beruft, wirft die Andere gesunden Menschenverstand in die Waagschale.

Trotzdem liegen beide unter "friendly fire". Feuer aus den eigenen Reihen.

Während mir das Dilemma der Einen herzlich egal sein müsste, da mir ihre Bereitschaft, das eigene Leben nach den Vorgaben eines uralten Märchenbuches auszurichten, für immer unverständlich bleibt, erschüttert mich die Krise der Anderen zutiefst.

Aber wer hat denn nun Recht?
Die Seite, die auf jede Frage eine kurze, knackige und vor Allem verständliche Antwort parat hat und lieber handelt als labert?
Oder die Seite, die alles endlos ausdiskutieren will und einfach nicht zu Potte kommt?

Bin ich ein Antisemit, wenn ich Israel kritisiere?
Bin ich ein verkappter Rassist, wenn mir "Zigeunersoße" und "Negerkuss" flott über die Lippen gehen?
Bin ich ein chauvinistisches Machoschwein, wenn ich einer Frau ein Kompliment ob ihres Aussehens mache?
Bin ich ein Genderignorant, wenn ich partout darauf verzichte, an alles ein *innen zu hängen?
Bin ich ein Nazi, wenn ich Angst vor unkontrollierter Zuwanderung habe?

Fragen über Fragen, die beim heutigen Schubladendenken enorme persönliche Konsequenzen haben können.

Vor einigen Monaten fand in Berlin eine große Demo der AfD statt. Vom Hauptbahnhof bis zum Brandenburger Tot beschützte der Staat 5000 Demokratiefeinde vor 25000 Gegendemonstranten aus unterschiedlichen Lagern und Ländern.
Es war absolut surreal! Während auf der einen Seite ein kompakter Block gut gelaunt seine Deutschlandfahnen schwenkte, zeterte auf der durch Spree und Polizei getrennten anderen Seite eine wütende verstreute Menge in unterschiedlichen Sprachen "Nazis raus!" und hielt silberne Rettungsdecken, AKP-Transparente, Antiatomkraftplakate und Regenbogenflaggen in die Höhe.
Auf welcher Seite standen mehr Alternative für Deutschland?

Sich selbst als Linken zu bezeichnen, erfordert mittlerweile Prinzipientreue und Beleidigungsresistenz. Aber was bedeutet das heutzutage überhaupt noch?
Was ist links, was rechts? Bei der Auswertung des Wahl-O-Maten im Internet landet die AfD direkt hinter den Linken. Wie kann das sein?
Warum muss man sich mittlerweile dafür rechtfertigen, immer noch die "Lügenpresse" zu lesen und einen Flüchtling nicht automatisch einen "Asyltouristen" zu bezeichnen?

Was ist passiert, dass links im öffentlichen Sprachgebrauch immer öfter mit -versifft ergänzt wird? Wohlgemerkt von den Leuten, deren Interessenvertreter die Linken eigentlich sein wollen!

Was darf man eigentlich noch sagen, ohne von der falschen Seite Applaus zu bekommen? Und wird das Gesagte damit automatisch falsch?
Wenn das zuträfe, wäre es die effektivste Variante, den politischen Gegner Schach Matt zu setzen. Man zitiert einfach aus dessen Programm! Der Gegner könnte reagieren wie er will, die Öffentlichkeit würde ihm immer einen Strick daraus drehen.
Dieses perfide Spiel scheint aber nur von links nach rechts zu funktionieren. Während Demokratiefeinde sehr unwahrscheinlich mit linkem Gedankengut in Verbindung gebracht werden, reicht schon der zarte Hinweis darauf, dass unsere Sozialsysteme nur eine bestimmte Zuwanderung vertragen, um in die rechte Ecke gestellt zu werden.
Kein Wunder also, dass die (immerhin) Fraktionsvorsitzende der Linken im Deutschen Bundestag sich genötigt fühlt, eine parallele linke Bewegung zur eigenen Partei zu etablieren, um endlich wieder das aussprechen zu können, was in den eigenen Reihen anscheinend nicht mehr möglich ist.

Und die Kanzlerin?
Eingekeilt zwischen geopolitischen Hasardeuren wie Trump, Putin und Erdogan, sowie den größenwahnsinnigen Alpenfürsten ihrer eigenen Schwesterpartei versucht sie eine Mitte zu verteidigen, die ein Auslaufmodell zu werden droht.
Obwohl sie jede politische Hilfe gebrauchen könnte, lehnt sie es konsequent ab, mit den Linken zu reden.

Mit den Linken will niemand mehr reden.

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