Montag, 29. Oktober 2018
Doch nur Tiere
Teil 1

Vor geraumer Zeit sah ich auf Arte eine Doku über Schimpansen.
Eine ungewöhnlich große Gruppe irgendwo tief im Dschungel. Die Aufnahmen waren nicht mehr ganz frisch, aber das änderte nichts an ihren beeindruckenden Beobachtungen. Die beteiligten und zu Wort kommenden Forscher hatten die Gruppe jahrelang begleitet, jedem einzelnen Tier einen Namen gegeben und versucht, die gruppendynamischen Prozesse zu verstehen. Übereinstimmend mussten sie eingestehen, wie überrascht, ja geradezu schockiert sie waren, wie menschenähnlich sich diese Primaten verhielten. Und das nicht nur in positiver Hinsicht.
Ich war etwas verwirrt. Was hatten diese Forscher erwartet?
Da Schimpansen und Bonobos genetisch enger mit dem Menschen verwandt sind als mit Gorillas, war doch wohl abzusehen, dass sie auch etliche weniger schmeichelhafte Verhaltensweisen mit uns teilen würden.
Je länger die Sendung dauerte, umso klarer wurde mir bewusst, wie ähnlich wir diesen Tieren waren. Immer noch!

Mobbing, Vergewaltigung, Lynchjustiz, Kannibalismus und Krieg sind keine Erfindungen des Menschen!
Die eindrucksvollen Aufnahmen zerstörten ein gutes Stück mein positives Bild unserer nächsten Verwandten und führten unweigerlich zu der Frage:"Haben wir diese Stufe jemals überschritten?"
Was haben wir mit ihnen noch gemeinsam?
Was trennt uns eigentlich von ihnen? Der Gebrauch von Werkzeug, die Sprache, das Ich-Bewusstsein?

In den letzten Jahren ist dazu eine erstaunliche Entwicklung zu beobachten.
Einerseits wird mit wissenschaftlichen Methoden versucht, unsere angebliche Sonderstellung im Tierreich zu ergründen.
Und siehe da - mit jedem vermeintlichen Alleinstellungsmerkmal erweitert sich der Kreis der Spezies, die man dazu zählen muss. Große Menschenaffen, Elefanten, Delphine, Oktopoden und Raben dürfen sich schon seit geraumer Zeit auf dem intellektuellen Sofa neben uns breit machen. Sie stehen ja auch nicht (wenigstens in der westlichen Hemisphäre) auf unserem Speisezettel. Dass Nutztiere wie Kühe und Schweine es empathisch mit Kleinkindern aufnehmen können, macht uns unsicher und zwingt uns, unsere Einstellung ihnen gegenüber zu überdenken. Unschätzbare Dienste bei diesem Erkenntnisprozess liefern uns z.B. die deutschen Philosophen Michael Schmidt-Salomon und Richard David Precht. Wie wir mit Schwarmintelligenzen von z. B. Bienen und Ameisen umgehen sollen, steht noch auf einem ganz anderen Blatt.

Hier findet gerade ein radikales Umdenken statt, dass unser verinnerlichtes Selbstverständnis unserer Stellung im Tierreich in den Grundfesten erschüttert.

Andererseits wächst der Kreis derer, die die jetzige Zusammensetzung der Welt auf göttliche Schöpfung und (oder) intelligent design zurück führen. So war es geplant und so bleibt es, basta! In diversen religiotischen Märchenbüchern steht nichts als die absolute Wahrheit! Es ist kaum zu glauben. Je tiefer wir in die Geheimnisse des Universums eintauchen, umso entschiedener wird die Wahrung heiligen (und damit widerspruchsfreien) Wissens verteidigt. Je umfangreicher und einfacher der Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen wird (zumindest für die mit Internet!), umso weniger wird er als Orientierungshilfe bei der Bewältigung persönlicher, regionaler und globaler Probleme akzeptiert.

Woran liegt das?
Was ist passiert, dass wir plötzlich an einem Punkt stehen, an dem alles kritisch hinterfragt wird?
Sind die Menschen mit den jetzigen Verhältnissen so überfordert, dass sie Rat in der rückständigen Vergangenheit suchen oder ihr Heil in einer von Maschinen beherrschten Zukunft sehen?

Wir sind uns unserer Stellung im weltlichen Gefüge plötzlich nicht mehr sicher.
Na ja, plötzlich ist relativ! Als wir uns überzeugen ließen, dass sich unser Planet nicht mal annähernd im Zentrum des Universums befindet, war das schon schwer zu verkraften. Ich glaube, einige wollen es bis heute nicht wahr haben! Aber das wir als "Krone der Schöpfung" (respektive "Krone der Evolution") und "Beherrscher der Welt" generell zur Disposition stehen, sorgt bei etlichen Erdlingen für Schnappatmung.

Wie soll es weiter gehen? Akzeptieren wir, dass wir als Laune der Natur (Evolution) vorübergehend die beherrschende Spezies dieses Planeten sind und folgerichtig auch irgendwann wieder abtreten müssen? Bejahen wir den ersten Teil und stemmen uns aktiv gegen den zweiten?
Sind wir überhaupt die beherrschende Spezies? Oder sollten wir (wenigstens in Gedanken) Bakterien und Viren diese Vormachtstellung zugestehen?

Womit wir wieder bei der Ausgangsfrage wären.
Was erhebt uns eigentlich über die anderen Tiere? Ist es diese spezielle Fähigkeit, sein eigenes Ich in Interaktion mit der Umwelt zu hinterfragen?
Dieses zutiefst philosophische WER BIN ICH?
Gibt es Tierarten, die sich mit ähnlichen Gedanken quälen?
Soll das der Höhepunkt einer evolutionären Entwicklung sein, wenn man ständig an sich selbst (ver)zweifelt?
Kann und soll Evolution überhaupt einen Sinn haben?

Ich bezweifle, dass sich Schimpansen auf solchen intellektuellen Ebenen bewegen. (Wenigstens hoffe ich das! "Planet der Affen" lässt grüßen!) Dass sie nichtsdestotrotz komplexe Konfliktbewältigungsstrategien beherrschen, steht mittlerweile außer Frage.
Besonders beeindruckend fand ich die Aufnahmen einer Gruppe Männchen, die zu einer Patrouille ihrer Reviergrenzen aufbrachen. Die selben Protagonisten mit etwas weniger Behaarung und mit Lendenschurz - fertig wäre das perfekte Abbild unserer humanoiden Vorfahren. Die Art und Weise, wie sie sich lautlos im Gänsemarsch durch den Wald bewegten, wie sie nonverbal kommunizierten, wie sie strategisch Position bezogen, um dann in einer konzentrierten Aktion gegen die Späher des rivalisierenden Nachbarclans vorzurücken, kam einem sehr vertraut vor. Das anschließende Gemetzel auch.

War das jetzt tierisches oder menschliches Verhalten?
Wo ist die Grenze?
Wieviel Tier steckt noch in uns?
Und wie wollen wir damit umgehen?

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