Dienstag, 12. Januar 2016
Wer hat Angst vor'm bösen Buch?
70 Jahre nach dem Tod des Verfassers laufen die Urheberrechte an seinem Werk aus. Wenn es ein auflagenstarkes Werk war, ist es verständlich, dass viele ein Stück vom neu zu verteilenden Kuchen abhaben wollen. Und dieser Kuchen ist gewaltig; immerhin erreichte besagtes Werk eine Auflage von 12,4 Mio Stück!
Das Problem ist nur, dass es von einem Mann geschrieben wurde, der als das personifizierte Böse gilt, als "Geißel des 20.Jahrhunderts". Damit ist sein Werk folgerichtig viel mehr als ein normales Buch. Es ist ein Manifest. Eine Manifestation des Bösen!
abraxas satanas!

Aber halt! Dieses Buch wurde nicht vom Teufel persönlich geschrieben, sondern von einem kleinen wütenden Gefreiten, der nach einem gescheiterten Putschversuch im Gefängnis saß.

Also was machte dieses Buch so gefährlich, dass es nach Ende des 2.Weltkrieges in beiden deutschen Staaten und Österreich auf dem Index stand?
Warum war es seinerzeit so erfolgreich?
Warum erhitzt die jetzige Neuveröffentlichung so die Gemüter?

Um allen Mißverständnissen vorzubeugen - ich habe das Buch nicht gelesen! Noch nicht. Ich weiß auch nicht, ob ich es jemals lesen werde.
Mein Wissen über den Inhalt basiert also auf den Aussagen Anderer, die ich für überzeugend halte. In diesem speziellen Fall ist es der Artikel von Nikolaus Bernau in der Berliner Zeitung vom 9.1.16.

Ein Buch kann nur dann erfolgreich sein, wenn es den Nerv der Zeit und der Leserschaft trifft. Wenn es als ideologischer Leitfaden funktionieren soll, muss es dem Volk eine klare und einfach verständliche Vision vermitteln - wer ist Schuld am jetzigen Zustand und was können wir dagegen tun?
Während der wirtschaftliche Zustand selbsterklärend war (die Weltwirtschaftskrise von 1922 steckte allen noch in den Knochen), war sich der kleine Soldat Adolf Hitler sicher, die Schuldigen an der Misere in den Versailler Verträgen und den Juden gefunden zu haben. Sein abgrundtiefer Hass auf Juden (die irgendwie die historische Arschkarte gezogen haben, immer als Sündenböcke herhalten zu müssen!), war nicht nur in Deutschland sehr populär.
Als Ausweg propagandierte er die Ausweitung des deutschen Lebensraumes Richtung Osten, sowie die Ablehnung jeglicher demokratischer Mitbestimmung unter Anleitung eines "Führers" - ihm selbst.

Ich bin überzeugt, dass diese Kernthese des Buches, der "Führerkult", der Hauptgrund ist, warum demokratische Staaten eine panische Angst davor haben, ihre Bürger damit in Berührung kommen zu lassen. Unzufriedene Menschenmassen sind nämlich sehr empfänglich dafür, wenn ihnen eine charismatische Persönlichkeit das Denken abnimmt und ihnen einfache Lösungen präsentiert.

Da das Kind aber nun in den Brunnen und eine Neuveröffentlichung nicht mehr zu verhindern war, entschied man sich im Institut für Zeitgeschichte, dass die aufgeklärten Bürger noch nicht aufgeklärt genug waren, um ihnen einen unkommentierten Zugang zu Hitlers "Mein Kampf" zumuten zu können.
Es mag ein paar braune Dumpfnasen geben, die dieses Traktat als Legitimation ihres kruden Weltbildes feiern; für mich als intelligenten Menschen stellt es eine Beleidigung dar, wenn man der Meinung ist, mir erklären zu müssen, was ich gerade lese!
Ich brauche doch keine 1:1 Übersetzung eines deutschen Textes!

Nazi-Deutschland hatte schwere Schuld auf sich geladen. Die rechtlichen Nachfolger BRD und DDR fanden unterschiedliche Wege, mit dieser Schuld umzugehen und sie abzutragen. Das Ausland bewertet den "deutschen Weg", mit seiner Vergangenheit umzugehen, weitgehend positiv.
Meine Generation und die meiner Eltern haben keine Schuld. Schlichtweg weil wir nicht dabei waren, als das "Tausendjährige Reich" schon nach 12 Jahren aufhörte zu existieren.

Unzählige Publikationen und Reportagen haben sich mit dieser tragischen Zeit beschäftigt. Jedes Jahr werden wir mit neuem Bild- und Tonmaterial versorgt. Jede einzelne Schlacht wurde detailgetreu rekonstruiert, jede Wunderwaffe durchleuchtet, jede private Aufnahme Adolf Hitler's inszeniert. Sogar in Farbe!
Wir haben uns aus unserer Schockstarre gelöst, wir dürfen wieder "Deutschland vor, noch ein Tor!" brüllen, Hitler-Parodien ziehen keine soziale Ächtung mehr nach sich und die erfolgreichsten Waffensysteme der damaligen Zeit gibt es offiziell als Modellbausatz.

Doch bei allem Faktenwissen bleibt immer noch die große Frage, wie ein ganzes Volk dieser zerstörerischen und menschenverachtenden Ideologie zum Opfer fallen konnte.
Die Wichtigkeit von Hitlers "Mein Kampf" sollte nicht überbewertet werden. Aber dieses Buch war ein Puzzle-Stein im großen Mosaik der Errichtung einer faschistischen (ich kann dem Begriff national-sozialistisch nichts abgewinnen!) Diktatur auf deutschem Boden.
Welche Dokumente könnten einen besseren Blickwinkel auf diese Zeit ermöglichen, als die von unmittelbar Involvierten, in diesem Fall sogar Verantwortlichen?!

Aus der Vergangenheit lernen, um die Gegenwart zu meistern und dann die Zukunft zu gestalten.
Was sich als schwierig erweist, wenn die herrschende Klasse sich davor fürchtet, dass der Erkenntnisgewinn des Volkes in eine ungewünschte Richtung laufen könnte!

Das Institut für Zeitgeschichte hat jahrelang recherchiert, um die Ansichten Hitlers kritisch zu hinterfragen und zu widerlegen. Der Hype um die Veröffentlichung nahm teilweise skurile Formen an.
Aber lohnt es sich, 59 EUR für 1900 Seiten auf den Tisch zu legen, wenn mir auf jeder zweiten Seite eine Begründung dafür geliefert wird, warum ich dieses Buch nicht hätte kaufen sollen?

Jetzt ist es da.
Viele kluge und wahrscheinlich auch genausoviele dumme Kommentare werden ihren Weg an die Öffentlichkeit finden.
Die Hysterie wird verschwinden.
Übrig bleibt ein Buch.

Nichts, wovor man sich fürchten muss!

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