Samstag, 7. November 2015
Wer A sagt...
...muß auch B sagen.
Wie die meisten Sprichwörter kann auch dieses beliebig interpretiert und gedeutet werden. Eine positive Variante wäre: Verfolge zielstrebig einen eingeschlagenen Weg, überwinde Zweifel und akzeptiere mögliche Konsequenzen. Eine negative Variante scheint besonders bei Politikern beliebt zu sein: Zieh dein Ding durch, egal wie schwachsinnig es auch sein mag.

Warum ist das so?
Politiker haben keinen leichten Job. Als gewählte Vertreter des Volkes flippern sie permanent zwischen den unterschiedlichsten Interessenvertretungen hin und her. Jeder will etwas Anderes von ihnen, jeder glaubt, sie für seine Ziele instrumentalisieren zu können.
Es gilt, vieles gegeneinander abzuwägen: persönliche Überzeugungen, Fraktionszwänge, politisches Kalkül, wirtschaftliche Interessen. Und irgendwie muß man seine Wählerschaft ja auch noch bei Laune halten, sonst ist es schnell vorbei mit der Herrlichkeit.
Wie weit man auf der Karriereleiter nach oben klettert, hängt von vielen Faktoren ab: Durchsetzungsvermögen, Prinzipientreue, Kompromißbereitschaft, Gespür, Vernetzung, Loyalität, fachliche Kompetenz. Obwohl letzter Punkt immer unwichtiger wird, je höher man klettert. Minister sind in der Regel so austauschbar wie Figuren beim Tischkicker.
Ganz oben auf dem Olymp scheint nur noch eine Eigenschaft wichtig zu sein - das eigene Geltungsbedürfnis.
Wie auch immer sie ihren Weg nach oben gefunden haben, durch harte Arbeit, durch zwangsläufige parteiinterne Abläufe oder ob sie wie ein Kaninchen aus dem Zylinder gezaubert wurden; sie sind da und tragen große Verantwortung.
Leider werden sie nur selten zur Selben gezogen, wenn sie mal richtig daneben greifen.

Es gibt Fehler, die können passieren. Irren ist menschlich und - ja!- Politiker sind auch nur Menschen.
Aber es gibt auch Fehler, die sich langsam anbahnen, die absehbar sind, vor denen wiederholt gewarnt wird, und die dann trotzdem passieren, weil der Verantwortliche nicht den Arsch in der Hose hat, den Fehler als solchen zu benennen.
Warum auch? Für die Kosten kommt meistens der Steuerzahler auf und persönliche Konsequenzen sind selten zu befürchten.

Beispiele gefällig?

Das Verteidigungsministerium, das den Verknüpfungssynergien des MIK scheinbar hilflos gegenüber steht, bezahlt fleißig seine Rechnungen, obwohl es den Gegenwert zu spät, überteuert und schlimmsten Falls nicht einsatzfähig bekommt: Transportmaschinen, die nicht fliegen können, Marine-Hubschrauber, denen der Flug über offenes Meer nicht zugemutet werden kann, autonome Drohnen, die gleich gar keine Flugerlaubnis bekommen. Die Liste könnte endlos weiter geführt werden. Fehler mit Ansage; und die zuständigen Minister waren bei Weitem nicht so ahnungslos, wie sie sich öffentlich gerne aufführten.

Bei Großbauprojekten scheint wider besseren Wissens die Devise "Augen zu und durch" ebenfalls sehr beliebt zu sein. Welch unwürdiges Theater einige Politiker bei Stuttgart21, Hamburger Elbphilharmonie oder Berliner Flughafen BER abziehen, spottet jeder Beschreibung.

Mein besonderes Augenmerk gilt den Spezi's, die sich trotz oder wegen der Bedeutungslosigkeit ihrer Partei besonders auffällig gebärden.
Die FDP hat in der Vergangenheit einige große Persönlichkeiten hervorgebracht, die bevorzugt im Außenministerium wirklich gute Arbeit leisteten. Heute ist die FDP ein Hort arbeitsscheuer Schnösel, die hoffentlich keine Chance mehr kriegen, in der großen Politik mitzumischen. Die realitätsfernen Positionen eines Philipp Rösler bei der Gesundheitsreform 2011 sind haften geblieben.

Aktueller Spitzenreiter in der Hitliste der Bornierten ist Alexander Dobrindt. Einer Partei entspringend, die trotz größenwahnsinniger "mia san mia"-Attitüde nur in einem Bundesland zur Wahl antritt, hat er die Denkweise seines Parteichefs und Landesvaters zur Perfektion getrieben - verlange das Maximum und weiche nur milimeterweise zurück!
Während Horst Seehofer die Republik mit den Themen Betreuungsgeld, Trassenausbau und Abschiebung von Flüchtlingen terrorisiert, hat sich der Verkehrsminister auf die Maut eingeschossen. Und dieser Wahnsinn hat es in sich! Ein Paradebeispiel dafür, welch verheerende Auswirkungen eine "immer weiter so" -Denke haben kann.

Als beschlossen wurde, die ausufernden Unterhaltungskosten für das deutsche Autobahnnetz durch eine LKW-Maut zu kompensieren, standen etliche in Europa bewährte Systeme zur Verfügung. Das beauftragte Toll-Collect-Konsortium entschied allerdings, kraft seiner Wassersuppe, ein völlig neues System zu entwickeln. Dieses hatte Kinderkrankheiten und so verschob sich der eigendlich für August 2003 angesetzte Starttermin immer wieder, bis im Januar 2006 endlich eine voll funktionstüchtige Variante zur Verfügung stand.
Der Bund bestand natürlich auf Schadenersatz für entgangene Einnahmen. Bei der Lektüre des zunächst geheim gehaltenen 1000-seitigen Vertragswerkes entpuppte sich das Ganze als dermaßen unverständlich, dass das Verkehrsministerium um eine die Geschäftsgeheimnisse von Toll Collect bereinigte Version gebeten wurde. Dieses Ansinnen lehnte das Ministerium "mangels Sachverstand im eigenen Haus" ab. Erst am 25.11.2009 wurden größere Teile über WikiLeaks der Öffentlichkeit zugänglich.
Da dieser Fall, als Vorgeschmack auf das bevorstehende Freihandelsabkommen TTIP, vor einem privaten Schiedsgericht ausgetragen wird, ist mit einem Urteil in frühestens 2 Jahren zu rechnen; bei ungewissem Ausgang. Das Verfahren kostete bis jetzt 136 Mio EUR; es geht immerhin um 7 Mrd EUR, die der Bund mittlerweile von Toll Collect fordert.

Dermaßen bestärkt in seinem Tun lief unser Verkehrsminister nun zu Höchstform auf - eine PKW-Maut sollte her! Natürlich wieder in Zusammenarbeit mit Toll Collect! Hatte ja schon mal gut geklappt! Um die deutschen Wähler nicht zu verschrecken, sollte diese Maut nur für Ausländer gelten. Die EU-Kommission signalisierte umgehend, dass sie ein solches Verfahren nicht genehmigen würde. Sie unterschätzte allerdings die Kreativität des deutschen Verkehrsministers. Aus der Ausländer-Maut wurde eine Infrastrukturabgabe, die alle PKW-Besitzer zahlen sollten. Mit der kleinen Einschränkung, das die deutschen ihre Kosten über die KFZ-Steuer zurück bekommen sollten.
Dass sich diese Variante im Kern nicht von der ersten unterschied, erkannte auch die EU-Kommission und blieb bei ihrer angekündigten Ablehnung.
Es kam, wie es kommen mußte. Kaum standen die neuen Regeln im Gesetzblatt, leitete die Brüsseler EU-Kommission Mitte Juni 2015 ein Vertragsverletzungsverfahren wegen indirekter Diskriminierung ausländischer Fahrzeughalter ein. Alexander Dobrindt blieb nichts weiter übrig, als das Projekt auf Eis zu legen.

Ende gut alles gut? Von wegen! So leicht läßt sich doch ein CSU-Mann nicht die Butter vom Brot nehmen!
Beratungsresistent und in der festen Überzeugung, das Projekt noch zum Laufen zu bringen,wurde bereits kräftig investiert: 76 zusätzliche Stellen in diversen Behörden, ein externer Beratervertrag. Geschätzte Kosten im laufenden Jahr: 8 Mio EUR. Für das kommende Jahr gibt es auch schon einen präzisen Kostenvoranschlag: 11,2 Mio EUR.

Vorläufiger Höhepunkt der Dobrindt'schen Unbelehrbarkeit ist die für 2018 anvisierte Ausweitung der LKW-Maut auf alle Bundesstraßen. Obwohl ein Auftrag dieser Größenordnung europaweit ausgeschrieben werden müßte, werden gerade die Weichen gestellt, dass der neue Betreiber der alte bleibt - also Toll Collect. Durch Verfahrenstricksereien wurde die Einspruchsfrist für Konkurrenzangebote von 6 Monaten auf 2 Wochen verkürzt. Bleibt nur noch die Gefahr eines erneuten EU-Vertragsverletzungsverfahrens.

Ist es politische Naivität oder dummdreiste Unverfrorenheit, die unseren Verkehrsminister antreibt?
Hat er auf seiner Almwiese zu wenig Sauerstoff bekommen oder ist er so ein harter Hund, der die Karre sehenden Auges gegen die Wand fährt?!
Was muß passieren, dass einige Politiker die Kraft finden, über ihren eigenen Schatten zu springen?

Es wird Zeit, das Sprichwort zu ändern: Wer A sagt, muß nicht auch noch B sagen, wenn er weiß, dass A schon falsch war!

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