Dienstag, 3. November 2015
Ich hab nichts zu verbergen
So oder ähnlich schallt es mir entgegen, wenn ich meine Mitmenschen, bevorzugt meine eigene Familie, auf die Problematik der Datensicherheit anspreche. Während mir dieses Thema erhebliche Bauchschmerzen bereitet, scheint es den Meisten egal oder sogar lästig zu sein, sich damit überhaupt zu befassen.

Doch woher kommt diese Verweigerungshaltung?
Niemand will, dass Persönliches in die Hände Unbefugter gelangt. Wenn ich ein vertrauliches Gespräch oder Telefonat führe, hat es gefälligst vertraulich zu bleiben. Ich bestimme, wem ich was mitteile.

So weit die Theorie.
In Wirklichkeit haben wir uns damit abgefunden, dass unsere Telefonate abgehört und unsere Post mitgelesen werden kann. Die STASI-Methoden in der DDR werden heute nur noch mitleidig belächelt. Seltsamerweise glauben Viele, dass sie persönlich davon nicht betroffen sind, dass sie quasi "unter'm Radar fliegen".
"Wen interressiert es schon, was ich kleine Leuchte so von mir gebe!" So lange man keine Schlagwörter wie BOMBE, TERROR und ISLAM benutzt, mag das durchaus zutreffen. Man wähnt sich als zu unwichtig, um in dieses Raster zu fallen. Außerdem kann man sich eh nicht dagegen wehren. Wenn man vom Staat und/oder Behörden/Geheimdiensten überwacht wird, ist das halt so. Alles im Sinne der staatlichen Sicherheit.

Unter dem Deckmäntelchen der Terrorismusabwehr wurden die Karten neu gemischt.
Wenn potenzieller Terrorist A mit offensichtlichem Terrorist B über vermutliches Anschlagsziel X spricht, möchte man natürlich auch alles über wahrscheinlichen Geldgeber D wissen. Dass potenzieller Terrorist A nur deshalb in's Visier geriet, weil er mit Person C (dessen Vater zufällig Mitglied im selben Golfklub wie wahrscheinlicher Geldgeber D ist) im selben Kiez aufwuchs, erscheint uns so abstrakt, dass es gerade mal als Story für einen Hollywood-Blockbuster taugt. Auf welchen legalen oder illegalen Wegen diese Erkenntnisse das Licht der Welt erblickten - geschenkt. Satellitenüberwachung, Gesichtserkennungssoftware, Sprachmusterabgleich und Vernetzung sämtlicher zur Verfügung stehender Datenbanken erzeugen beim Zuschauer wohliges Erschrecken und werden schnell als das abgehakt, als das es konzipiert war - als Entertainment. "Staatsfeind Nr.1" war zum Beispiel ein toller Film. Was davon alles real ist, will man lieber gar nicht wissen.

Aber die wirkliche Gefahr lauert ganz woanders.
Wer etwas verkaufen will, ist umso erfolgreicher, je mehr er über die Bedürfnisse seiner Kundschaft weiß. Er kann sie direkt danach befragen oder er holt sich die benötigten Informationen auf andere Weise.
Wenn man wie im Film "Minority Report" beim Betreten eines Kaufhauses von einem Hologramm persönlich angesprochen und nach der Zufriedenheit des letzten Einkaufes befragt wird, erscheint das als pure science-fiction.
Wenn ich beim Stöbern im Amazon-Shop darauf hingewiesen werde, dass demnächst ein neues Buch meines Lieblingsschriftstellers auf den Markt kommt, hört der Spaß auf. Woher kennen die meinen Lieblingsschriftsteller?
Schlagartig fallen mir weitere merkwürdige Zufälle ein:
-beim Surfen auf dem Firmenrechner wird plötzlich der Wetterbericht meines Wohnortes eingeblendet
-bei einer telefonischen Umfrage werde ich zu persönlichen Familienverhältnissen befragt, die der Interviewer unmöglich wissen kann
-bei der Eingabe des Wortes "Grundsicherungsamt" bei Google erscheinen auf der ersten Seite die Ämter meines aktuellen Wohn- und meines Geburtsortes

Als ich vor zehn Jahren in den Speckgürtel Berlin's umzog, erhielt ich einen Tag später Werbepost von der Royal Bank of Scotland. Aber nicht als Nachsendeauftrag, sondern direkt an die neue Adresse! Dabei war ich noch nicht mal polizeilich umgemeldet!

Leide ich an Paranoia?
Woher wissen die alle so gut Bescheid?

Weil sie unsere Metadaten sammeln und weitergeben!
WER bestellt WANN von WELCHEM GERÄT aus WAS bei WEM? Alle fehlenden Informationen liefern wir sogar freiwillig. Über soziale Netzwerke wie Facebook & Co. verbreiten wir persönlichste Details, die eigendlich niemanden etwas angehen. Wer über WhatsApp kommuniziert, akzeptiert still schweigend, dass seine komplette Namensliste gescannt wird. Smart-Watches und Fitnessarmbänder zeichnen intimste Werte auf. Der vernetzte Haushalt steht kurz davor, sich selbst zu organisieren. Unsere intelligenten Autos melden weitaus mehr Daten als nur Reifendruck und Benzinstand.

Doch wozu die Sammelwut der Datenkraken?
Auf welchen Servern landen die ganzen Daten eigendlich?
An wen werden sie weiter gegeben?
Wird dieser Millionen-Aufwand wirklich nur betrieben, um mir personalisierte Werbung zukommen zu lassen?

Warum machen so viele freiwillig mit?
Der Autor Marc Elsberg hat in seinem Roman "Zero" ein sehr erschreckendes Szenario entworfen, wozu die jetzige Entwicklung führen könnte. Wer dieses Buch gelesen hat, wird sein eigenes Auftreten in der digitalen Welt hoffendlich überdenken.

Letztendlich bleibt nur die Hoffnung, dass der Staat seine Schutzfunktion gegenüber seinen Bürgern ernst nimmt. Der Justizminister und der Datenschutzbeauftragte scheinen auf dem richtigen Weg zu sein.
Auch die Kanzlerin vertritt eine deutliche Position. Auf dem Verlegerkongreß Publishers' Summit in Berlin bezeichnete sie Daten als "Rohstoff des 21.Jahrhunderts". O-Ton:"Hier müssen wir jetzt aufpassen, dass der Datenschutz nicht die Oberhand über die wirtschaftliche Verarbeitung gewinnt."

Na prima!

P.s.: Ich denke lieber nicht daran, in wessen falsche Hände dieser Beitrag fallen könnte.

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