Sonntag, 5. Juli 2015
Im Land der Zugehackten
War das Tätowieren hierzulande früher den Seefahrern und Knastis vorbehalten, wurde es in den letzten Jahren durch Tribals und Arschgeweihe so salonfähig, dass es sich zu einem flächendeckendem Phänomen entwickelte.
Egal welches Geschlecht, egal welches Alter, egal welche Körperform - irgendeine Körperverziehrung muss sein. Künstlerisch ansprechende Arbeiten neben grenzüberschreitenden Geschmacklosigkeiten. Alles ist dabei.

Wer sich die Namen seiner Kinder nicht merken kann, knallt sie sich auf die Heckscheibe. Wer Angst hat, ihre Geburtstage zu vergessen, schreibt sie sich auf den Unterarm. Und die erste abgeschnittene Haarsträhne des Sprößlings wird nicht in's Fotoalbum geklebt, sondern in's eigene Haar eingeflochten - nur für den Fall!

Was noch?
Ein Portrait des Dackels, Billardkugel mit persönlicher Glückszahl, Sterne, Drachen, Totenköpfe, Blumen, Schmetterlinge und Oma's Käsekuchenrezept. Als wenn es jemanden interessieren würde, wie meine Freundin vor 20 Jahren aussah, welchen Fußballverein ich mal ganz toll fand, oder in welchem Kuhkaff ich geboren wurde. Dafür gibt es Facebook und Konsorten.

Die Warnungen von Medizienern verhallen ungehört; und die Aussicht, dass aus dem gestochenen Delphin auf dem Bauch mal ein Blauwal werden könnte, schreckt anscheinend auch niemanden. Wenn es so weit ist, könnte man ja seine Rettungsringe farblich hervorheben oder einfach durch nummerieren!
Es ist schon verblüffend, wie viele adipöse Zeitgenossen dem Irrglauben unterliegen, ihren schwabbeligen Körper durch komplette Schlachtenszenen oder meterlange Blumengirlanden verschönern zu können.

Besonders ärgerlich wird es, wenn die eingeritzten Bilder eindeutige politische Statements enthalten.
Während ich mich nicht erinnern kann, jemals einen Aufruf zur nächsten Internationale oder ein >>Atomkraft? Nein danke!<< auf einem Körper gelesen zu haben, erobert nationalistisches und rechtes Gedankengut so manchen Bizeps und Rücken.
Allerfeinstes Anschauungsmaterial gab es heute am Badesee. Obwohl der einheitliche "Haar"-schnitt der kleinen Gruppe schon auf gleich Gesinnte schließen ließ, offenbarte sich das ganze Dilemma, als sie sich ihrer Oberbekleidung entledigten. Als wenn es aus Blaupapier bestünde, trugen alle den gleichen Schriftzug auf den Schultern wie auf den Shirts - European Brotherhood.
Der Rest der teilweise muskulösen Körper durfte anscheinend individuell mit geistigem Dünnschiss zugehackt werden. Vom Rudolf-Hess-Abziehbild bis zum Leitspruch der Waffen-SS - es war alles vertreten!
Besonderes Highlight war der Rücken eines 200-Kilo-Geschosses: In Plakatgröße das Eingangsportal vom KZ Buchenwald (inkl. Wachtürmen und Stacheldrahtzaun) plus dem unseligen Spruch >>Jedem das Seine!<< KEIN SCHEISS! Der Typ spielte liebevoll mit seinem kleinen Sohn und trug gleichzeitig eine geistige Haltung zur Schau, die jedem aufgeklärten deutschen Bürger die Zornesröte in's Gesicht treiben müsste! Was noch alles auf seinem Körper stand, konnte ich nicht entziffern; so nah wollte ich wirklich nicht ran.
Die dazugehörigen weiblichen Wesen schienen ebenfalls einen Mengenrabatt im Studio bekommen zu haben - obskure Frauengesichter mit zugenähten Mündern; von oben bis unten!
Wenn's schön macht?!

Da war der kleine faltige Opa fast eine Augenweide. Ein winziger "Woodstock"-Schriftzug auf dem rechten Oberarm. Seine begleitende Herzdame hatte er wahrscheilich da kennen gelernt. Und ihren Namen brauchte er sich bestimmt nicht tätowieren zu lassen!

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