Montag, 29. Februar 2016
Kollektiver Wahnsinn
Oft benutzt, aber selten im richtigen Kontext - der Begriff des Wahnsinns.
Während Pep Guardiola und Wolfgang Petry wohl eher ihr privates Unverständnis bestimmter Ereignisse andeuten wollen, zeigt die breite Anwendungspalette von politischen Entscheidungen bis zu Rindern, dass der inflationäre Gebrauch dieses Begriffes wohl einer differenzierten Bewertung bedarf.

Laut wikipedia werden mit Wahnsinn im gesellschaftlichen Sinne bestimmte Verhaltens- und Denkmuster bezeichnet, die nicht der akzeptierten sozialen Norm entsprechen. Dabei bestimmen stets gesellschaftliche Konventionen, die sich abhängig von Region, Zeit und sozialen Gegebenheiten erheblich unterscheiden, was als Wahnsinn verstanden wird.

So weit, so gut.
Das heißt also, dass die Mehrheit bestimmt, was akzeptabel ist und was nicht.
Oder eben die jeweils Herrschenden, die glauben, im Sinne der Mehrheit zu sprechen. Die dummerweise immer wieder vergessen, sich der Gefolgschaft der Herde zu vergewissern und dann am Wahlabend schockiert feststellen, dass ihnen plötzlich eben diese verweigert wird.

Wahnsinn wird also von außen auf eine Person oder Handlung projiziert. Der Betroffene ist zu dieser Einschätzung nicht fähig:"Ich bin doch nicht verrückt, sondern alle anderen!"
Rinder haben von Hause aus ein Defizit in der Selbstreflexion.

Es heißt, Genie und Wahnsinn lägen dicht beieinander. In Kombination mit den Dogmen der jeweiligen Konventionen bedeutet das, dass eine heutige Wahnsinnstat zu einem späteren Geniestreich mutieren kann.
Und andersrum genauso.

Wer sich heute also bewußt gegen landläufige Meinungen stellt, muss mit einer unsicheren späteren Beurteilung rechnen. Oder er schafft es noch zu Lebzeiten, Gleichgesinnte auf seine Seite zu ziehen.
Dann tritt der Wahnsinn in seine kollektive Phase ein.

Menschen sind Herdentiere. Die meisten wollen einfach in Ruhe und Frieden leben und suchen deshalb den Weg des geringsten Widerstandes. Das heißt, sie beugen sich dem Diktat der Mehrheitsmeinung.

Wenn eine zuvor geächtete Denk- oder Handlungsweise unerwartet viel Zuspruch erhält, kann es durchaus passieren, dass Menschen aus Furcht davor, plötzlich auf der falschen Seite zu stehen, eben diese wechseln und dadurch zur Etablierung des eigendlich Undenkbaren beitragen. Im positiven wie negativen Sinne.
Meist sind tiefgreifende gesellschaftliche Umbrüche die Folge.

Zur Zeit taumeln wir global durch eine Phase tiefster Verunsicherung. Weisheiten von gestern sind nichts mehr wert. Keine Idee ist verrückt genug, um nicht wenigstens einmal laut ausgesprochen zu werden.

Da es noch nie so einfach war, an Wissen und Informationen zu gelangen, glauben viele, im alleinigen Besitz der ultimativen Wahrheit zu sein.
Menschen, die eine Fimose nicht von einer Fibrose unterscheiden können, maßen sich an, die Diagnosen studierter Fachärzte in Frage zu stellen.
Menschen, die keine Ahnung von der Funktionsweise eines demokratischen Staatswesens haben, glauben dennoch, den einzig möglichen Weg zur Krisenbewältigung zu kennen.
Und nur weil man Groß- und Kleinschreibung nicht unterscheiden kann, heißt das ja noch lange nicht, dass man die Arbeit von Journalisten nicht als "Lügenpresse" denunzieren darf. usw usw

Die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters.
Der Wahnsinn auch.
Einmal in die Welt gesetzte Gedanken können ungeahnte Konsequenzen haben.
Wenn die "ZDF Heute Show" dem Gedanken, Frauke Petry und Donald Trump könnten sich demnächst als höchste Repräsentanten ihrer Länder gegenüber stehen, so viel inhaltliche Substanz zubilligt, dass er als Parodie gesendet werden kann, wird mir Angst und Bange.

Wenn ein verwirrtes Rind seine Methan-Ausdünstungen entgegen der Stallorder zur falschen Seite abgibt, wird die gesamte Anlage in Sippenhaft genommen und gekeult.

Bei Menschen verbieten sich solche drakonischen Strafaktionen natürlich.

Selbst wenn die Gefahr besteht, dass der kollektive Wahnsinn um sich greift und das ganze Kartenhaus zum Einsturz bringt.

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