Montag, 18. Januar 2016
Wahrer Reichtum
Neulich beim Abendbrot kam es zu folgendem Gespräch.
Sohn:"Sind wir reich?"
Ich:"Was heißt denn für dich reich?"
Sohn:"Na du weißt schon, eine Villa, eine Yacht, schnelle Autos, tolle Klamotten, viel Geld auf dem Konto."
Ich:"Wenn das deine Kriterien sind, kannst du dir die Frage auch selbst beantworten. Haben wir irgendwas davon?"
Das enttäuschte Gesicht meines Sohnes ließ mich schnell zurück rudern.
Ich:"Ist es denn so wichtig, ob wir reich sind? Wir haben ein Dach über'm Kopf, genug zu essen und ordentliche Klamotten. Wir können uns leisten, in's Kino zu gehen und im Ausland Urlaub zu machen.
Also, eigendlich sind wir schon reich, oder?"
Sohn:"Naja, nicht so richtig. Ist aber schon o.k. so."

Während für meinen Sohn das Thema schnell vergessen war, beschäftigte es mich noch eine ganze Weile. "Sind wir nun reich?"

Laut Wörterbuch ist ein Reicher ein Vermögender, Wohlhabener, Zahlungsfähiger, Millionär. Oha! Zwischen Zahlungsfähiger und Millionär ist aber viel Spielraum.
Bin ich reich, nur weil ich meine Rechnungen bezahlen kann? Wohl kaum!
Bin ich arm? Definitiv nicht!
Warum denke ich überhaupt in den Kategorien arm und reich? Was ist denn mit dem Mittelfeld? Ist Mittelschicht nicht mehr gut genug?

Sie war es! Momentan ist sie auf dem absteigenden Ast; in den USA seit 40 Jahren erstmals in der Minderheit. Was vor gar nicht langer Zeit das Rückgrat unserer Gesellschaft war, ist gerade dabei, seine privilegierte Stellung zu verlieren.
Wie eine Made zwischen Baum und Borke hängend, ist in der Mittelschicht die Wahrscheinlichkeit, als Morgensnack zu enden, größer als die Chance, die Metamorphose zum Schmetterling (zum Reichen!) zu überstehen.
Paradoxerweise gibt es aber immer mehr Schmetterlinge; größer und bunter als jemals zuvor.

Diese neue Gattung der Superschmetterlinge scheint den Erkenntnissen der Darwin'schen Evolutionstheorie zu widersprechen. Plötzlich waren sie da und vermehrten sich in einer Geschwindigkeit, die globale Ausmaße angenommen hat - die Gattung der Superreichen!

Die Statussymbole der "normal" reichen Oberschicht (Villa, Yacht, etc.) haben ihre Bedeutung verloren. Wer heute beim Einkaufen noch auf's Preisschild schaut, wird nur noch mitleidig belächelt. Ganz oben gibt es keine Preisschilder mehr! Alles ist käuflich.
Es gibt Menschen auf diesem Planeten, die ganze Volkswirtschaften aufkaufen könnten, wenn sie eine sinnvolle Verwendung dafür hätten.
Wenn Milliardäre die Hälfte ihres Vermögens in eine Stiftung geben können, um dann kurze Zeit später trotzdem wieder zu den Reichsten zu zählen, läuft etwas gewaltig schief.
Denn dieses ganze Geld muss ja irgendwo herkommen!

Die Hilfsorganisation Oxfam hat in einer heute veröffentlichten Studie festgestellt, dass die "globale Ungleichheitskrise außer Kontrolle" geraten ist.
"Das Vermögen der unteren Hälfte der Menschheit ist in den vergangenen fünf Jahren um mehr als eine Billion Dollar geschrumpft."
Gleichzeitig konnten die 62 reichsten Menschen der Welt ihr Vermögen um 542 Milliarden Dollar steigern.
Das hat zu der abartigen Konstellation geführt, dass diese 62 Superreichen genausoviel Vermögen besitzen, wie die ärmere Hälfte der Menschheit.

62 vs. 3.500.000.000 !!!

Ich gehöre (danke,danke,danke!) nicht zu der einen Gruppe; bin aber gleichzeitig Lichtjahre von der anderen entfernt.
Ist es also purer Neid, dass ich mit meiner vermögenstechnischen Stellung unzufrieden bin?
Ich glaube, es ist eher Angst. Angst, den Anschluß zu verpassen und irgendwann zwischen den Extremen zerrieben zu werden.

>>Durch ehrliche Arbeit ist noch keiner reich geworden!<<

Naja, sowas soll es auch geben. Aber wenn ich mir vor Augen halte, wodurch viele zu ihren ersten Millionen gekommen sind, fange ich an, an meinem Verstand zu zweifeln. Weil sie gut Fußball spielen können, mit einem Auto schnell im Kreis fahren, schön singen, Fragen richtig beantworten oder 6 Kreuze an die richtige Stelle setzen! Während Milchbauern, Friseusen und Hebammen keinen Fuß auf die Matte kriegen!

Und unsere Kinder kriegen die volle mediale Breitseite dieser Entwicklung ab. Sie können zwischen den Extremen wählen: "Die Ludolfs" oder "Die Geissens", "Die Aussiedler" oder "Das Dschungelcamp", "Fick dich hoch" oder "Kotz dich schlank".
Alles die selbe Soße!

Je höher die Summen sind, die durch den Äther kreisen, umso geringer die Wertschätzung.
Wenn ein Konzern seinen Gewinn "nur" um 500 Millionen steigern konnte, droht ihm eine Abstrafung am Aktienmarkt.
Wenn sich ein Großbauprojekt "etwas" verteuert, dann gleich um mehrere Milliarden.
Konnte nicht unser Finanzminister neulich erfreut verkünden, dass er sich bei den Steuereinnahmen um 6 Mrd Euro verschätzt hatte?

Wen interessieren denn heute noch Millionen?!
Die Relationen verschwinden.

Wenn ich meinen Kindern erkläre, dass 3000 Euro für eine Woche Urlaub eine Menge Geld sind, ernte ich verständnislose Blicke.
"Aber Thomas Müller verdient 12 Mio im Jahr."
"Kein Mensch "verdient" 12 Mio. Er bekommt sie einfach. Und außerdem bin ich nicht Thomas Müller!"

Ich will gar nicht reich sein. Sorgenfrei würde völlig reichen!
Wenn alles gut läuft, sind wir pünktlich zum Renteneintritt schuldenfrei. Wenn alles gut läuft!

Und bis dahin warten noch viele Gespräche mit meinen Kindern darauf, geführt zu werden.
Ich bin nämlich doch reich!
Durch meine Kinder!

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