Sonntag, 3. Januar 2016
Arbeitsagentur
Ein Telefonat Anfang März 2015.
"Arbeitsagentur..., Frau ..., was kann ich für sie tun?"
"Guten Morgen, mein Name ist ... Ich würde gern mit meiner zuständigen Sachbearbeiterin sprechen."
Sekundenlange Pause.
"Waren sie schon mal bei uns?"
"Ja."
"Ich kann sie nämlich nicht finden."
"Das kann aber nicht sein. Ich habe schließlich schon eine Umschulung von ihnen bekommen."
"Wann war das, bitte?"
"Vor fünf Jahren."
"Alles klar. Dann wurden ihre Daten in der Zwischenzeit gelöscht."
"Was? Wieso das denn?"
"Ist eine Standardprozedur. Dann werden wir erst mal eine neue Akte für sie anlegen."
"Jetzt? Können sie mich nicht einfach durchstellen?"
"Ohne Akte? Wie stellen sie sich das vor? Die Bearbeiterin muß sich ja schließlich vorbereiten! Also, können wir?"
"Ja. Natürlich."
Mißmutig gebe ich meine Personalien durch.
"So. Jetzt noch ein paar Angaben zu ihrem Lebenslauf.", flötet es aus der Muschel.
"Das mache ich bestimmt nicht übers Telefon!"
Ich muß aufpassen, dass meine aufkommende Aggressivität nicht allzu sehr durchschlägt.
"Na gut, dass können sie ja später nachreichen. In welcher Angelegenheit wollen sie denn mit ihrer Sachbearbeiterin sprechen?"
'Das geht dich ja wohl einen Scheiß an!', denke ich.
"Wegen einer Umschulung.", sage ich.
"Gut. Ich werde alles Notwendige veranlassen. Sie hören von uns. Vielen Dank für ihren Anruf."

Zwei Tage später bekomme ich Post. Meine ZUGANGSDATEN ZUR JOBBOERSE DER BUNDESAGENTUR FÜR ARBEIT. Man teilt mir mit, dass ich jetzt ein Benutzerkonto mit persönlichem Benutzernamen habe.
Das dazu gehörige persönliche Kennwort wird mir einen Tag später in einem separaten Schreiben zugestellt.
'Wollen die mich verarschen?'

Weitere fünf Tage später wieder Post. Das BERATUNGSPAKET ZUR RATSUCHENDMELDUNG.
'Die müssen zu viel Papier haben!'
Anschreiben, Fragebogen, Erinnerung an den nachzureichenden Lebenslauf, eine Liste der exklusiven Lernmedien der Lernboerse, ein Merkblatt des Berufsinformationszentrums BIZ. Das Einzige, was mich wirklich interessiert hätte, ein Terminvorschlag, fehlt.
Obwohl ich mittlerweile Mordgedanken hege, fülle ich alles brav aus und - warte.

Meine Geduld wird auf eine harte Probe gestellt. Etliche Tage später klingelt mein Handy.
"Frau XY von der Arbeitsagentur. Es geht um ihren Beratungswunsch."
"Ist gerade ungünstig. Bin mit dem Auto unterwegs."
"Wollen sie nun einen Termin, oder nicht?"
"Natürlich! Moment!"
Ich fahre rechts ran.
"So. Wann kann ich denn vorbei kommen?"
"Naja, nach gründlicher Überprüfung der Fakten sind wir zu der Einschätzung gelangt, dass ein persönliches Vorsprechen nicht nötig ist."
"Und warum nicht?"
"Weil für ihren angegebenen Umschulungswunsch kein Bedarf besteht."
Ich glaube, mich verhört zu haben.
"Wollen sie mich jetzt ernsthaft am Telefon abwimmeln?! Ich warte seit drei Wochen und verlange, dass ich endlich einen Termin bekomme!"
Mein Puls ist in besorgniserregende Höhe geschnellt.
'Was bildet diese Schnepfe sich ein?!'
Am anderen Ende scheint es zu keinerlei erhöhter Körperfunktion gekommen zu sein.
"Wie sie wollen. Wir werden ihnen einen zeitnahen Termin mitteilen."
'Das will ich auch hoffen!', denke ich.
"Danke!", sage ich.

Zeitnah ist relativ; und so ist nächste Woche Freitag so gut wie jeder andere Termin. Nur die Uhrzeit macht mißtrauisch - 14.30 Uhr. Kurz vor Feierabend und Wochenende. Alles klar!

Gut vorbereitet und argwöhnisch erscheine ich zum Termin. Wie befürchtet bin ich der letzte Kunde.
'Bangemachen gilt nicht!'
"Guten Tag Herr ...! Schön, dass sie so pünktlich sind.", sagt Frau X und blickt demonstrativ auf die Uhr.
'Ich weiß, dass ich dir den Feierabend versaue!', denke ich.
"Danke, dass ich so schnell einen Termin bekommen habe.", sage ich.
Den kleinen Seitenhieb kann ich mir nicht verkneifen.
Jetzt, wo die Fronten geklärt sind, steigen wir in die Verhandlung ein.
"Herr ..., sie wollen eine Umschulung zum Photoartist absolvieren. Was soll das sein?"
"Wie ich schon im Fragebogen angegeben habe, handelt es sich um eine interne Bezeichnung der Photoacademy Urbschat hier in Berlin. Es ist eine kombinierte Ausbildung."
"Kombiniert woraus?"
"Aus Fotograf und Mediengestalter."
"Wie ich den Unterlagen entnehme, sind sie dort schon vorstellig geworden. Ist das richtig?"
"Ja! Ich habe eine Fotomappe eingereicht, einen Eignungstest bestanden und darauf hin ein Empfehlungsschreiben bekommen. Wollen sie mal sehen?"
Das Schriftstück überfliegt sie; die Mappe rührt sie nicht an.
"Das klingt ja alles ganz toll, aber wie ihnen schon telefonisch mitgeteilt wurde, sehen wir für diesen Beruf keinen Bedarf und demzufolge auch keine Notwendigkeit, eine solche Umschulung zu finanzieren."
Ich habe mit diesem Einwand gerechnet und kann daher im freundlichen Tonfall meine Argumentation anbringen.
"Kein Bedarf? In der heutigen Zeit? Glauben sie nicht, dass die unzähligen online-shops Verwendung für exzellent ausgebildete Fachkräfte haben, die ihre Produkte fotografieren, präsentieren und vermarkten können?"
"Auf den relevanten Jobportalen konnte ich jedenfalls nichts finden."
"Mit relevant meinen sie ihre eigene Seite, oder was?"
"Glauben sie mir, die Angebote auf stepstone, monster, etc. unterscheiden sich nicht von denen der jobboerse der Arbeitsagentur."
"Die meine ich auch nicht. Die Kreativbranche inseriert auf speziellen Seiten."
"Ach, und welche wären das?"
"Auch das habe ich im Fragebogen angegeben!"
Mit vorwurfsvollem Blick nimmt sie denselben zur Hand und beginnt zu lesen. Offensichtlich zum ersten Mal.
"Na dann wollen wir mal sehen."
Sie tippt kimeta.de ein. Sofort füllt sich der Bildschirm. Lauter Angebote aus dem Großraum Berlin.
'Jetzt sag was, du blöde Kuh!', denke ich.
"Das sieht doch ganz gut aus!", sage ich.
Aber so recht mag Frau X meine Begeisterung nicht teilen und vertieft sich in die einzelnen Inserate. Mit akribischer Präzision zerpflückt sie jedes einzelne Angebot und damit gleichzeitig meine Zukunftspläne.
"Hier wird mehrjährige Berufserfahrung gefordert."
"Muss ja nicht der Job sein."
"Wie sieht es mit ihren Englischkenntnissen aus?"
"Kann ich auffrischen."
"Sie wollen ja wohl kaum Babys fotografieren, oder?"
"Warum nicht?"
Auf diesem Niveau geht es eine ganze Weile weiter. Irgendetwas findet sie immer, um es mir mierig zu machen.
"Außerdem sind sie zu alt."
"Was?!"
Jetzt habe ich langsam die Faxen dicke.
"Zu alt, um einen Fotoapparat hoch zu halten? Mit 45? Wie kommen sie denn zu dieser abenteuerlichen Meinung?!"
"In diesen Jobangeboten wird immer die DU-Anrede benutzt. Ein untrügliches Zeichen, dass junge Bewerber angesprochen werden sollen."
"So ein Blödsinn!"
Es fällt mir immer schwerer, mich zu beherrschen.
"In der Kreativbranche ist das die gebräuchliche Anrede! Habe ich beim Gespräch mit der Chefin der Photoacademy selbst erlebt!"
"Na wenn sie meinen."
Unbeeindruckt zieht sie ihre letzte Trumpfkarte.
"Dieses ganze Gespräch ist sowieso überflüssig, da sie sich in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis befinden und damit für eine geförderte Umschulung nicht in Frage kommen."
"Das kann sich heutzutage schnell ändern."
"Wenn es so weit sein sollte, können wir gerne noch einmal über geeignete Maßnahmen reden. Altenpfleger und CNC-Fräser sind gerade sehr gefragt."
"Nein, danke."
Ich bin erledigt.
Frau X scheint der bevorstehende Feierabend in Hochstimmung zu versetzen.
"Ich freue mich, dass wir uns auf einen gemeinsamen Standpunkt einigen konnten."
'Du kannst mich mal!', denke ich.
"Danke, dass sie sich die Zeit genommen haben.", sage ich.

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